Freitag
In Fulda steige ich in den ICE, mit
dem Taina aus Hamburg kommt und wo für mich sogar noch ein
Sitzplätzchen frei ist. Als Wegzehrung goutieren wir den
neulich verhafteten Ratsherrn-Viererträger, was das Ertragen
der anwesenden Frauenreisegruppen jedoch nur bedingt
erleichtert. Hinzu kommt eine verlängerte Fahrzeit wegen
Umleitung aufgrund "Personenschadens". Schließlich erreichen
wir den überraschend klein wirkenden Hauptbahnhof Nürnberg,
wo wir die Wartezeit mit dem Verzehr von Avocado-Bagels
überbrücken. Die letzte Etappe im Regionalzug gestaltet sich
laut und stickig aber landschaftlich durchaus reizvoll. Als
wir in Amberg aussteigen, scheint Taina schon gleich wieder
Dutzende Leute zu kennen, die sie entsprechend begrüßt. Nun
gehen wir die paar Meter Richtung Zentrum, wo wir unsere
wirklich nette FeWo beziehen. Sie liegt direkt an der Vils
in der Stadtmitte, ziemlich ruhig und idyllisch.
Anschließend stärken wir uns auf der anderen Flussseite im
Rußwurmhaus mit lokal gebrautem Weizen nebst Festnahrung,
weitere Konzertbesucher sind ebenfalls anwesend, man spricht
Englisch.
Bald schon müssen wir aufbrechen zum Ort des
Geschehens, dem kleinen Ort Theuern ca. 8 km entfernt. Am
Bahnhof erhaschen wir ein Taxi, mit dessen Fahrer wir am
Wochenende noch öfter zu tun haben werden. Am Kulturschloss
angekommen bietet sich uns eine entspannte und lauschige
Außenatmosphäre mit einigen smalltalkenden Herumstehenden
sowie weiteren Ankömmlingen. Ein Aufsteller verkündet wenig
überraschend "Ausverkauft!" - am Einlass werden unsere
selbst ausgedruckten Tickets allerdings bloß per simplem
Einriss entwertet. Vorbei am industriekulturellen Museum im
Erdgeschoss erklimmen wir die Treppe zum Konzertsaal, der
sich schick, gemütlich und etwas geräumiger als erwartet
präsentiert. Schon spielen auch Lunar Shadow, die wir vor
kurzem erst beim Harder Than Steel gesehen haben.
Tatsächlich erkenne ich auch Melodien wieder und mir fällt
endlich ein, an welche Band sie mich vom musikalischen
Konzept her deutlich erinnern, nämlich Twisted Tower Dire.
Die Melodik der Vocals und Gitarren schlagen schon in eine
sehr ähnliche Kerbe, wenn ich nicht irre. TTD durfte ich
noch nie live erleben, LS dürften jedoch ein bisschen mehr
Zeit im Proberaum zubringen, da einige Töne merklich daneben
liegen. Bandchef "Savage" (hüstel) scheint immerhin mit sich
zufrieden zu sein, post wie ein Großer und besorgt sämtliche
Ansagen. Ich fühle mich gut unterhalten, während wir ein
wenig vom örtlichen Flaschenbier kosten. Zweiter Anheizer
sind die Briten Dark Forest, deren Fronter Josh Winnard
gleich mal mit oberamtlicher Steve-Harris-Tributefrise
beeindruckt. Die Mucke, die beim vorbereitenden Hören recht
vielversprechend klang, läuft auch erstmal ganz gut rein,
was ein Großteil des Publikums offensichtlich ähnlich sieht.
Auf Dauer fehlt mir allerdings der gewisse Biss in den
gleichförmig eingängigen Songs und ich sehne den Headliner
herbei.
Der schließlich mit "From Shores Forsaken" und
"Pilgrim" die Menge sofort in Wallung bringt, was auch nicht
schwerfällt, wenn sich eine Meute von Die-Hards aus
sämtlichen Ecken Europas zusammenfindet, um ihren
Epic-Helden zu huldigen. Die Leute wollen Atlantean Kodex
zelebrieren, völlig klar, und das klappt in diesem
speziellen Ambiente sogar noch besser als bei gewöhnlichen
Gigs eh schon. Der Sound ist amtlich, der Saal gut gefüllt
aber mit genug Luft zum Atmen, dazu ein lokales Gerstenbräu
- die Szenerie ist perfekt für die Komplettaufführung des
brillanten Epos "The White Goddess". Der Smash-Hit "Sol
Invictus" treibt die eh schon prächtige Stimmung gleich noch
ein paar Stufen höher, der Publikumschor schmettert den
Refrain gar imposant. Dann bricht sich die gnadenlose Epik
langsam ihre Bahn in Form von "Heresiarch", wozu ein Rudel
Sagengestalten, genannt Perchten, auf der Bildfläche
erscheint, das auch das Publikum ein wenig aufmischt.
Anschließend können wir uns zum Glück ganz dem Gipfel der
erhabenen Genüsse hingeben. "Twelve Stars And An Azure
Gown", dieser Inbegriff musikalischer Schönheit, sorgt für
selige Gesichter und eine gezückte Europaflagge in den
vorderen Reihen. Der Höhepunkt folgt sogleich, "Enthroned In
Clouds And Fire" wird angestimmt und mir wird kochend heiß
ums Herz. Welch Song. Welch Refrain. Welch Meisterwerk! Kaum
zu glauben, dass wir hier und heute live dabei sein dürfen.
Die Musik strömt mir nicht mehr nur aus den Speakern
entgegen in die Lauscher, sie erklingt direkt im Kopf, im
ganzen Körper, ich bin eins mit ihr, wir alle sind eins.
Wahrscheinlich stehe ich starr vor Fassungslosigkeit rum,
ich weiß es nicht. Auf der linken Bühnenseite tritt
jedenfalls ein Mann ans Pult, der die in den Song
eingebauten prophetischen Worte zum Besten gibt. Zum Schluss
zieht es mir fast die Schuhe aus - "Alles hat ein Ende, auch
diese Welt." - Eine Überschauerung biblischen Ausmaßes
überkommt mich, schön und beängstigend zugleich. Meine
Fresse...
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Zum Glück endet das Album mit "White
Goddess Unveiled" halbwegs besänftigend, man spürt den Boden
wieder unter den Füßen, einst werden wir alle geheilt
sein... Nun können wir die restlichen paar Stücke irdisch
genießen und begießen, darunter auch das unveröffentlichte
"Kodex Batallions", das schön maidenesk losgaloppiert.
Schlusspunkt ist natürlich wie fast immer "The Atlantean
Kodex", passt! Nach dieser großartigen Darbietung soll noch
ein "secret event" im Schlosshof stattfinden, also gucken
wir doch mal, was dort abgeht. Die bereits im Konzertsaal in
Erscheinung getretenen maskierten Gestalten geben wohl eine
längere Show zum Besten, komisch nur die Beschallung dazu
aus einem offenen Kofferaum mit uncooler Stampfmucke bzw.
AC/DC. Auch wenn ich von der anwesenden Weiblichkeit in
Teilen ulkigerweise für den Manager von B.S.T. gehalten
werde, sind wir darauf erpicht, nicht so arg lang auf den
Rücktransport warten zu müssen und ergreifen bald die
Gelegenheit beim Schopfe. Unser Taximann vom Hinweg hat
passenderweise gerade Zeit und bringt uns zurück zur
Unterkunft.
Samstag
Nach einer erholsamen Nacht könnten
wir den Samstag nun entspannt angehen, doch Taina hat sich
einen Parasiten eingefangen. Da sie die herbstliche Zecke
selbst nicht entfernt bekommt, versucht sie einen
Bereitschaftsarzt ausfindig zu machen. Bis dieser sich
zurückmeldet, begeben wir uns zum verspäteten Frühstück ins
BIO Organic56, einem sehr netten Laden mit kleinem
Bistrobereich. Meine nonverbale Verständigung mit der
Bediendame funktioniert mühelos, so dass wir bald lecker
Linsensuppe genießen können. Anschließend brechen wir auf,
die Stadt ein wenig zu erkunden. Auch wenn Amberg uns echt
gut gefällt, kommen wir allerdings nicht allzu weit, da sich
der Notarzt zum Einsatz in der FeWo ankündigt. Die
medizinische Versorgung am Wochenende klappt also auch. Der
Herr Doktor kommt ohne Aufpreis ins Haus und verhilft Taina
im Nu zur Zeckenfreiheit. Derart erleichtert ziehen wir
wieder los, um nach kurzem Fußweg im Schloderer Bräu zu
landen, eine "Erlebnisgastronomie", die uns hauptsächlich
mit selbstgebrautem Weizen beeindruckt. Überhaupt ist es für
uns Nordlichter nahezu paradiesisch, welch große Auswahl an
lokalen Bieren lockt. Da möchte man eigentlich mindestens
eine Woche lang allein deswegen hier urlauben und
ausprobieren. Aber wir haben leider nur das kurze Wochenende
zur Verfügung, also müssen wir uns genügsam zeigen. Bald
gesellen sich Enrico, Peter und Simon an unseren Tisch, was
die Lage umso mehr vergemütlicht, auch wenn die Kollegen
unappetitlicherweise diverse Tierteile verspeisen. Gerne
hätten wir länger gesessen, doch die Metalpflicht ruft schon
bald.
Wir also wieder mit unserem Stammchauffeur nach
Theuern, wo heute anscheinend noch mehr los ist, jedenfalls
treffen wir weitere bekannte Visagen. Die Supportbands
kommen ähnlich gut an wie am Vortag, während sich die
örtliche Bevölkerung drum herum offensichtlich unberührt in
ihren Wohnlandschaften fläzend der Samstag Nacht
entgegendämmert, wie wir auf einer kurzen Exkursion
festellen können.
Zum 2. Akt des Hauptacts sind wir
natürlich längst wieder im Saal. Erneut bietet die
großartigste deutsche Band ihr fulminöses Programm dar,
sicher genauso mächtig wie am Vorabend. Es ist wohl normal,
dass die Magie einen heute einen Tick weniger in ihren Bann
schlägt, schließlich weiß man ja genau, was einen erwartet.
Brillant ist es trotzdem, und wir sind sehr froh, zum
zweiten Mal hier sein zu dürfen.
Nach einem weiteren heißen
Konzertabend schnacken wir beim Absackerbierchen noch ein
ganzes Weilchen mit netten Freunden oder Bekannten, bevor
der übliche Taximensch seinen Job erledigt. Schnell ist die
Nacht wieder vorbei, wir gehen frühzeitig zum Bahnhof, um in
der gleißenden Sonne noch ein Abschiedsweizen zu genießen.
Tausend Dank an Atlantean Kodex für die wunderbare
Veranstaltung und an Amberg fürs tolle Ambiente, es war
spitze!
Tofukeule, Januar 2016
(Pics: Petrunella, tk, Enrico, Luís) |